WEYERBUSCH – „Wer Straßen sät, wird Autos ernten!“
WEYERBUSCH – „Wer Straßen sät, wird Autos ernten!“ – Bürgerinitiative NoB8OU informiert über aktuelle Verkehrsforschung
Der Gesellschaftssaal des brodvereins e.V. im Gasthof zur Post in Weyerbusch war gut besetzt. Dr. Gunnar Lindner, der Koordinator der Bürgerinitiative (BI) gegen Ortsumgehungen an der B 8 (noB8ou), begrüßte die Gäste mit dem Hinweis, dass die BI mittlerweile im fünften Jahr gegen überflüssige Ortsumgehungen kämpft und keinesfalls nachlassen wird.
Zum Erstaunen des Publikums war mitten im Raum ein Feld von der Größe eines Autos gesperrt, so dass deutlich wurde, wieviel Platz ein PKW durchschnittlich einnimmt – eine Fläche, die den Menschen dann nicht mehr zur Verfügung steht. Mit einem Gestell dieser Größe, das er sich über die Schultern hängt, geht der international bekannte österreichische Verkehrsexperte Hermann Knoflacher durch die belebte Wiener Innenstadt und zeigt auf diese Weise, wieviel Raum dem Auto im Unterschied zum normalen Fußgänger zugestanden wird, gewissermaßen eine One-Man-Critical-Mass. Als „Gehzeug“ stimmt das provokative Gestell nachdenklich, als „Stehzeug“ ärgert es parkplatzsuchende Autofahrer. Es weist auf den unverantwortlichen Flächenverbrauch durch Parkplätze hin, die ganze Städte verstopfen, versiegeln und verschandeln sowie im großen Stil umweltzerstörerisch sind.
Mit diesem markanten Beispiel begannen Marein und Eckhard Osten-Sacken, Mitstreiter der ersten Stunde in der BI, ihren Vortrag über den Verkehrsforscher Hermann Knoflacher, dessen Forschungsergebnisse das Motto der BI: „Wer Straßen sät, wird Autos ernten“, untermauern.
Knoflacher weist mittels exakter Daten nach, was bis heute in der Straßenverkehrspolitik, in unserem Verkehrs-, Siedlungs- und Wirtschaftssystem nicht gewusst bzw. ignoriert wird: Der Mensch ist genetisch ein Fußgänger und beim Autofahren dem gefährlichen Missverhältnis zwischen Geschwindigkeit, Masse, Kraft und eigener Wirksamkeit gar nicht gewachsen. Er könne daher das Geschehen letztlich weder kontrollieren noch verantworten, benehme sich aber laut Knoflacher „wie der Autofahrer, der nach einem Verkehrsunfall, bei dem sein Fahrzeug sich mehrfach überschlagen hatte, der Meinung war, er hätte nie die Gewalt über sein Fahrzeug verloren, weil er das Lenkrad schließlich immer fest in der Hand gehabt hätte“. Verkehrsingenieure versuchen dieses Missverhältnis durch überbreite Fahrspuren zu kompensieren. Das hat wiederum enorme zusätzliche Versiegelungen, also Flächenfraß zur Folge.
Da wir aber seit dem letzten Jahrhundert bei permanent steigendem Motorisierungsgrad – der als Indikator für wirtschaftliche Prosperität angesehen wird – zu einer Nation von Autofahrern geworden seien, fehle uns mittlerweile die Fähigkeit, die Entwicklungen im Verkehrswesen und das eigene Verhalten kritisch zu betrachten oder gar zu korrigieren: Wir seien gewissermaßen Opfer einer Viruserkrankung mit dem „Autovirus“ geworden. Ja, Knoflacher geht so weit zu sagen, inzwischen gebe es zwei Spezies: Menschen und Autofahrer. Die Autofahrer seien ein „Verkehrsgeschöpf, bestehend aus einer Metallkapsel und einem darin kauernden Menschen“. Dieses Geschöpf sei fasziniert von dem vermeintlichen Gewinn bei maximaler Eigenenergieeinsparung. Es glaubt, Beschleunigung und schnelle Verkehrssysteme brächten wirtschaftlichen Nutzen.
Irrtum, sagt Knoflacher, es gebe nachweislich keine Zeiteinsparung durch Geschwindigkeit. Dieses komplexe Phänomen ist in der Wissenschaft längst als „Reisezeitkonstanz im System“ bekannt. Es bedeutet, dass durch Geschwindigkeitserhöhung lediglich die Wege verlängert, unterm Strich aber weder Fahrtzeiten noch Wege verkürzt werden. Wider besseres Wissen gäben aber Politik und Wirtschaft weiter Milliarden für Straßen, Park- und Stellplätze aus. Die in Kauf genommenen Schäden an Natur und Umwelt seien unverantwortlich und inzwischen unermesslich. Die Ansätze zur Regulierung vergleicht Knoflacher mit dem Versuch, einen Ertrinkenden in einem vier Meter tiefen Pool durch Absenken des Wasserspiegels zu retten.
Viele weitere Aspekte stellten die beiden gut informierten Osten-Sackens kritisch und umfassend dar, so dass nach dem Vortrag eine lebhafte Diskussions- und Fragerunde noch bis in den späten Abend hinein dauerte. Fotos: Sabine Lindner
- Marein und Eckhard Osten-Sacken beim Referat über Herrmann Knoflachers Verkehrsforschung Vortrag im Gasthof zur Post, das „Stehzeug“ in der Mitte.
- Univ. Prof. Dipl.-Ing. Dr. tech. Hermann Knoflacher, geb. 1940 in Kärnten, ist der führende Verkehrsplaner in der EU. Die Ergebnisse seiner Forschung stellt er in seinem neuesten Buch umfassend dar: „Virus Auto 4.0: Lebensraum für Mensch und Natur in Stadt und Land“, Berlin 2024. Viele weitere Publikationen von H. Knoflacher sowie div. Beiträge und Interviews sind im Netz zu finden.