WIESBADEN – BARMER Länderforum 2025 – Reformbedarf im Gesundheitswesen: Alles muss sich ändern, damit alles so bleibt, wie es ist

WIESBADEN – BARMER Länderforum 2025 – Reformbedarf im Gesundheitswesen: Alles muss sich ändern, damit alles so bleibt, wie es ist

Auf Reformbedarf im Gesundheitswesen machen Expertinnen und Experten seit vielen Jahren aufmerksam. Vor dem Hintergrund der steigenden Kosten für unsere Gesundheitsversorgung, des demografischen Wandels, der aktuellen Wirtschaftslage und des sich gleichzeitig verschärfenden Fachkräftemangels wächst der Druck auf Regierungen in Bund und Ländern, Strukturreformen jetzt auf den Weg zu bringen. Perspektiven für eine zukunftsorientierte Gesundheitsversorgung, die das Patientenwohl in den Mittelpunkt stellt und steigendem Kostendruck Effizienz entgegenhält, lieferte das BARMER Länderforum für Hessen und Rheinland-Pfalz, das am 22. September in der Handwerkskammer Wiesbaden stattfand. Prof. Dr. Christian Karagiannidis mahnte in seinem Impulsvortrag: „Ohne tiefgreifende Reformen im Gesundheitswesen wird Deutschland eine nie dagewesene Kostenexplosion erfahren, welche die Lohnnebenkosten in Höhen jenseits der 50 Prozent treiben wird, ohne dass sich die Qualität der Versorgung verbessert. Diese Entwicklung würde Land und Wirtschaft lähmen und muss verhindert werden. Dies kann gelingen, aber nur mit tiefgreifenden Reformen, vor allem der Notfall- und Rettungsdienste und mit einer riesigen Digitalisierungsoffensive. Die geplante Verwässerung der Krankenhausreform wird hingegen die Kosten- und Beitragsexplosion wieder anheizen.“

Klarheit schaffen, Verantwortung übernehmen

Auch aus Sicht der BARMER sind die jüngsten Anpassungen der Krankenhausreform kritisch zu bewerten. Für Martin Till, Landeschef der BARMER in Hessen, gerät ein zentraler Inhalt der Reform aus dem Fokus: Leistungen zu einem Versorgungsnetz zu konzentrieren, das Qualität und Effizienz an die Stelle kostenintensiver Strukturen setzt, die schlicht nicht mehr zeitgemäß sind und vorhandene Ressourcen zu stark zerstreuen. „Eine Reform, die als Strukturreform geplant wurde, läuft nun Gefahr, die Strukturen nicht mehr wirksam zu erreichen“, so Till. Dafür fehle es in den jüngst diskutierten Anpassungen der Reform an klaren Vorgaben durch die Bundesgesetzgebung. Aus einem Mosaik der Ausnahmeregelungen drohe nun eine Krankenhauslandschaft zu entstehen, die immer teurer wird, den Patientinnen und Patienten aber keine adäquate und zeitgemäße Qualität bieten könne. „Wenn sich die Kosten für unsere Gesundheitsversorgung weiter von der Qualität entkoppeln, wird den Beitragszahlenden eine Unterordnung ihrer berechtigten Ansprüche unter mangelnden Transformationswillen zugemutet. Den folgenden Vertrauensverlust kann niemand wollen“, so Till. Mit den jüngsten Anpassungen der Reform plane Gesundheitsministerin Nina Warken, den Ländern mehr Spielraum für die Umsetzung der Reform zu übertragen. „Diese Verantwortung haben die Länder gewollt, nun müssen sie ihr gerecht werden. Dies geht nur mit Klarheit in der Bundesgesetzgebung und Entschlossenheit der Landesregierung. Das sind die Verantwortlichen in Bund und Land den Versicherten und den Patientinnen und Patienten in Hessen schuldig“, sagte Till.

Die Übernahme von Investitionskosten ist Länderpflicht

Auch laut Dunja Kleis, Landesgeschäftsführerin der BARMER in Rheinland-Pfalz und dem Saarland, müssen sich die Krankenhausstrukturen in ihrer Region ändern, um effektiver zu werden. „Im Krankenhausbereich müssen Kapazitäten dort gebündelt, Spezialisierung gestärkt und Doppelstrukturen abgebaut werden, wo es medizinisch geboten ist. Nur so lässt sich die Patientensicherheit steigern und in Zeiten von Personalmangel ein gleichbleibend hochwertiges medizinisches Angebot aufrecht erhalten. Zugleich müssen die Bundesländer künftig ihrer Pflicht zu einer ausreichenden Investition in Ausstattung und Gebäude von Kliniken verlässlich nachkommen, da sonst Geld der Krankenkassen für die Behandlung von Erkrankten von den Kliniken für Investitionen zweckentfremdet wird“, sagte Kleis.

Zuhören, konsentieren, gemeinsam Handeln

Dr. Sonja Optendrenk, Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege, signalisierte Offenheit für den notwendigen Konsens, der einer zukunftsorientierten Transformation des Gesundheitswesens vorausgehen muss. Die Staatssekretärin betonte zugleich, dass es Nachbesserungen am Bundesgesetz brauche, damit dieses praxistauglich wird. Diese Position habe Hessen immer vertreten: es brauche eine Krankenhausreform, aber das Bundesgesetz müsse nachgearbeitet werden. Dialog und Kooperation seien im Prozess geboten. Diese Linie habe die Hessische Gesundheitsministerin, Diana Stolz, von Anfang an eingeschlagen. Alle Akteure des Gesundheitswesens leite das gleiche Ziel: eine regional erreichbare und finanzierbare Versorgung auf medizinisch hohem Niveau. „Das deutsche Gesundheitswesen steht vor großen Herausforderungen, die uns allen bekannt sind und vor denen alle Länder stehen: Der Fachkräftemangel, reformbedürftige Versorgungsstrukturen und die großen finanziellen Herausforderungen sind nur einige davon. Es kommt nun darauf an, dass wir zügig und gemeinsam – zusammen mit allen Beteiligten – die richtigen Schritte unternehmen, um die Gesundheitsversorgung zukunftsfest weiterzuentwickeln. Nur, wenn wir uns zuhören und zusammenarbeiten, kann eine flächendeckende, gute und finanzierbare Gesundheitsversorgung gelingen“, so Optendrenk.
Auch für Sebastian Spottke, den Vorsitzenden der Geschäftsführung der Marienhaus GmbH, ist es Zeit für alle Verantwortlichen, sich unterzuhaken: „Die Reform wird nur dann eine gute Reform sein, wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten. Nicht nur die Ministerien auf Bundes- und Landesebene, sondern auch die Träger der stationären und ambulanten Versorgung sowie die Krankenkassen und weitere Akteure. Damit wir für alle Menschen in Deutschland, ganz gleich ob in Großstädten oder auf dem Land, eine wirklich gute und bedarfsgerechte Versorgung schaffen“, sagte Spottke.

Patientensteuerung und Versorgung vor Ort stärken

Florian Born von der Gesundheitsabteilung des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Wissenschaft und Gesundheit, nahm praxisnahe Versorgungsideen für die Bevölkerung vor Ort in den Blick. Sein Beitrag zum BARMER Länderforum zeigte Lösungen für Rheinland-Pfalz, die sich stärker am tatsächlichen Bedarf von Patientinnen und Patienten orientieren, statt an den Angeboten der derzeit vorhandenen Strukturen. „Zwei ganz wichtige Aspekte für die Zukunftsfähigkeit des Gesundheitswesens sind die Steuerung von Patientenströmen und eine wohnortnahe, sektorenübergreifende Versorgung. Um eine wohnortnahe Versorgung sicherzustellen, ist es an einigen Standorten sinnvoll, ambulante und stationäre Grundversorgung aus einer Hand anzubieten. Mit dieser Zielrichtung haben wir in Rheinland-Pfalz das Konzept der Regioklinik entwickelt, das auf den Regelungen der Krankenhausreform aufbaut. Das schließt auch die Versorgung von Alltagsnotfällen ein. Diese werden entweder ambulant oder stationär vor Ort versorgt oder nach kompetenter Ersteinschätzung an größere Krankenhäuser verlegt“, erklärte Born. Auf diese Weise werde vermieden, dass Behandlungen, die niedergelassene Ärztinnen und Ärzte versorgen können, in die stark geforderten Notfallaufnahmen der Krankenhäuser gesteuert werden. Ferner kämen auch die Menschen, die eine spezialisierte Krankenhausbehandlung benötigen, ohne Praxisodysseen in qualifizierte Kliniken. Dafür sorge das in der Regioklinik konzentrierte ärztliche Fachangebot.

Digitalisierung und vernetztes Handeln als Schlüssel zur besseren Versorgung

Armin Beck, der Stellvertretende Vorstandsvorsitzendender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, zeigte ebenfalls konkrete Perspektiven für einen verbesserten Zugang zu allen medizinischen Versorgungssektoren auf. Es gelte, vorhandene Ressourcen sinnvoll zu vernetzen und sowohl Patientinnen und Patienten wie auch ihre persönlichen Gesundheitsinformationen zielgenau zu steuern. Dies könne eine konsequente Digitalisierung leisten, die auch über Systemgrenzen hinweg wirke. Die hessischen Hausärztinnen und Hausärzte seien Schlüsselfiguren dieses auch digitalen Steuerungsprinzips. „Patientensteuerung und primärärztliche Steuerung ist das Thema der aktuellen politischen Debatte. Sie ist wichtig, muss aber sinnvoll erfolgen. Dadurch, dass man Hausärzte den Fachärzten vorschaltet, entsteht kein einziger, zusätzlicher Termin. Ebenso ist die digitale Vernetzung der Sektoren zwingend notwendig. Dafür müssen die Kliniken an die ePA angeschlossen und zur Nutzung verpflichtet werden. In der ePA braucht es Datensätze, die das ärztliche Handeln unterstützen. Zum Beispiel der bundeseinheitliche Medikationsplan, Einbindung der Krankenhäuser, Laborbefunde, Volltextsuche, um nur einige zu nennen. Für eine funktionierende Notfallversorgung bedarf es entschiedener Schritte Richtung Digitalisierung über die Sektorengrenzen hinweg, hierbei ist die Vernetzung der Leitstellen zwingend notwendig“, führte Beck aus.

Foto: Diskutierten den Reformbedarf im Gesundheitswesen beim BARMER-Länderforum (v.l.): Martin Till, Landesgeschäftsführer der BARMER Hessen, Florian Born von der Gesundheitsabteilung des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Wissenschaft und Gesundheit, Sebastian Spottke, Vorsitzender der Geschäftsführung der Marienhaus GmbH, Armin Beck, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, Dunja Kleis, Landesgeschäftsführerin der BARMER in Rheinland-Pfalz/Saarland, Dr. Sonja Optendrenk, Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege, Prof. Dr. Christian Karagiannidis, Internist und ehemaliges Mitglied der Regierungskommission Krankenhaus. Foto: BARMER/Paul Müller

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