Leserbrief zu Dr. Jan Bollinger (AfD) zum Freispruch für Ludwigshafener Messermörder
NEUWIED – Leserbrief zu Dr. Jan Bollinger (AfD) zum Freispruch für Ludwigshafener Messermörder
Der AfD-Politiker Jan Bollinger erklärt, die Tendenz zur Pathologisierung von Verbrechen und damit letztlich zur Entlastung der Täter halte er für brandgefährlich, weil es den Einzelnen aus der Verantwortung für seine Taten nehme. Diese Tendenz gibt es jedoch nicht. Die Zahlen der Schuldunfähigen in Deutschland sind tatsächlich nicht gestiegen. Den Status der Schuldunfähigkeit kann man auch nicht einfach durch simuliertes Verhalten erlangen. Schuldunfähige werden zudem nicht automatisch leichter bestraft. Bei einer Unterbringung im Maßregelvollzug, in der forensischen Psychiatrie steht die Länge dieser Maßnahme nämlich nicht fest. Tendenz von Verteidigern ist es somit inzwischen eher, eine Begutachtung zu vermeiden, um zu einer zeitlich günstigeren Haftstrafe zu kommen.
Im Januar 2016 stellte der Bundesgerichtshof zur paranoiden Schizophrenie heraus, die Diagnose einer solchen Erkrankung führe für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längeren Zeiträum überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich sei vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der jeweiligen Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt habe.
Die Einschränkung der Schuldfähigkeit müsse auf dem für die Anordnung der Maßregel erforderlichen, länger andauernden Defekt beruhen. Erforderlich sei zudem eine nähere Darlegung des Einflusses des diagnostizierten Störungsbildes auf die Handlungsmöglichkeiten des Täters in den jeweils konkreten Tatsituationen.
Jan Bollinger räumt ein, er kenne im Fall des somalischen Asylbewerbers das entsprechende Gutachten nicht und könne es nicht professionell beurteilen. Es ist somit davon auszugehen, dass sowohl der psychiatrische Sachverständige als auch das Landgericht Frankenthal den Vorgaben entsprochen haben und nicht durch Unprofessionalität geglänzt haben.
„Ohne Schuld keine Strafe“ ist nun einmal ein Grundsatz des deutschen Rechtssystems. Nur wenn jemand schuldhaft gehandelt hat, hat der Staat das Recht, die Tat auch mit Geld- bzw. Gefängnisstrafen zu belegen.
Was bedeuten Bollingers politische Forderungen im Hinblick auf psychisch kranke Rechtsbrecher? Streng genommen müsste demzufolge jeder Migrant vorab psychiatrisch untersucht werden und bei Auffälligkeit nicht hereingelassen werden. Das ist aber schwierig. Nicht jeder Auffällige wird nämlich zum Straftäter. Ich kenne einen tendenziell perversen Herkunftsdeutschen, bei dem ich vierzig Jahre lang erwartet habe, dass er irgendwann einmal straffällig wird und forensisch-psychiatrischer Patient wird. In Wirklichkeit ist er aber alt und klapprig geworden und hat seine Devianz demzufolge offenbar in einem tolerierbaren Rahmen im Griff gehabt. Dystopisch-faschistische Aussonderungskonzepte sind also auch keine Lösung, weil man dem Einzelnen Unrecht antun könnte. Siegfried Kowallek, Neuwied