Leserbrief zu FREIE WÄHLER verzichten auf Gendern in Sprache und Schrift

MAINZ – Leserbrief zu FREIE WÄHLER verzichten auf Gendern in Sprache und Schrift

Ich muss einräumen, dass ich mit der Diskussion über das Gendern ein wenig fremdele, weil ich manche Beiträge dazu immer noch kritisch sehe. In einem ironisch gemeinten Beitrag habe ich deswegen im vergangenen Jahr statt Fußgängerzone die Bezeichnung Zufußgehendenzone gewählt. Auf der anderen Seite gibt es aber den vom Staatsrechtler Georg Jellinek präsentierten Ansatz der „normativen Kraft des Faktischen“. Mit dem Faktischen meinte er das soziale Faktum der Übung oder Gewohnheit: Was alle oder jedenfalls die meisten tun, erscheint gut und richtig und wird deshalb befolgt. So kam es tatsächlich vor, dass ein ausgesprochen Konservativer vor einiger Zeit in einem Leserbrief von „zu Fuß gehenden Leuten“ sprach. Er meinte das im Gegensatz zu mir offensichtlich völlig uninronisch und belegte damit, dass die Genderdiskussion wohl doch mehr Wirkung zeigt, als ich das bisher angenommen habe.

Dass die Freien Wähler auf ihrem Bundesparteitag den Verzicht auf Gendern in Sprache und Schrift beschließen, ist einerseits völlig legitim, jeder hat schließlich das Recht, nicht zu gendern, andererseits ist es aber auch irgendwie rührend, weil das nicht die Zukunft sein wird. Auch Nichtverkrampfte, also keine Gender-Extremisten, denken inzwischen kreativ darüber nach, wie sie anders formulieren können. Man kann sich nämlich geschlechtergerechtem Sprachgebrauch auch annähern, ohne Stern, Doppelpunkt, Gap, Binnen-I oder Trema-i zu benutzen. Das habe ich für mich jedenfalls entschieden.

Hinterfragen sollte man jedoch auch manche Argumente der Gender-Gegner. Zu Studierenden statt Studenten oder Teilnehmenden statt Teilnehmer wird gerne behauptet, dass das Partizip I nur ausdrücke, dass eine Tätigkeit gerade im Augenblick durchgeführt werde. Ein Backender könne in Wirklichkeit beruflich eine Lehrkraft an einer Schule sein, während der Bäcker seinen Beruf habe. Dem steht aber etwa entgegen, dass man schon lange von einem Vorsitzenden oder einer Vorsitzenden spricht. Vorsitzende bleiben es indes auch, wenn sie gerade nicht im Dienst sind. Ein extremer Gender-Gegner müsste demzufolge fordern, dass es in der deutschen Sprache die Bezeichnungen Vorsitzer und Vorsitzerin geben muss. Siegfried Kowallek, Neuwied

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