Mein Freund der Baum – Unser Freund die Schürdter Linde
SCHÜRDT – Die Geschichte eines Baumes endet mit einem letzten „Lindenfest“ unter der alten Linde Es ist gut 47 Jahre her, das mich mein Lebensweg nach Schürdt führte. Gerade mal einige Wochen Neubürger der Gemeinde Schürdt erlebte ich das erste „Lindenfest“. Von der Großstadt zwar Freundschaften und kleine Gemeinschaften gewohnt, fand ich hier in Schürdt ein völlig neues Lebensgefühl. Eine „Dorfgemeinschaft“, so wie ich sie nicht kannte. Mitten im Ort, mitten auf der Straße, unter der riesigen, schattenspendenden Krone einer, damals schon an die 150 Jahre alten Linde. Jeder brachte sich seinen Stuhl mit, jeder etwas zu essen und zu trinken. Alt und Jung saßen gemischt an den Tischen, unterhielten sich über alltägliche Dinge und lauschten auch alten Geschichten von den „Alten“, den Bürgern, die selbst schon ein hohes Alter vorweisen konnten. Das ging bis in die 80ger Jahre.
Der Straßenverkehr, auch in Schürdt nahm über die Zeit zu, und somit wurde es auch problematisch einfach so eine Durchgangsstraße durch eine Feier zu blockieren. Das traf auch in den 90ger Jahren die Mittelstraße hoch zum Waldhof. In den 70ger und 80ger Jahren, als der Winter noch mit Schnee die Landschaft bedeckte, war das der Rodelberg. Jugendlich, Kinder mit ihren Eltern rasten auf blanken Kufen die verschneite und auch vereiste Straße hinunter. Plötzlich kam die Zeit, in der die Wirtschaftlichkeit, wie auch in der Mittelstraße im Ortskern, die Straße in Anspruch nahm und der Räumdienst den Winterfreuden ein Ende bereitet.
Zurück zur Linde. Die stand auf einmal völlig im Abseits, zwar unter Naturdenkmalschutz, doch nicht mehr im Mittelpunkt des Dorfgeschehens. Vor über 100 Jahren, so hörte man vom Ortsbürgermeister, kamen erst zwei, drei männliche Ortsbewohner unter die Linde, der eigenen Sitzgelegenheit folgte die Aufstellung einer ersten Bank. Man traft sich dort nach getaner, schwerer landwirtschaftlicher Arbeit, tauschte die Erlebnisse aus, dachte über die Zunft nach. Langsam wurde die Gruppe größer und auch Frauen gesellten sich dazu. Bis schließlich das kleine „Lindenfest“ daraus wurde und sich auch die Kinder dort vergnügten. Aus einem Dorf, dass bis zur Kriegszeit kaum 100 Seelen zählte, wurde ein wachsendes Dorf. Die Landwirtschaft wurde im Vollerwerb weniger, wich mehr auf Nebenerwerb aus und immer mehr Städter führte es nach Schürdt. Das Lindenfest erfuhr durch die Pfadfinder, von dem zugereisten Ehepaar Helmut und Elke Lemacher ins Leben gerufen, noch einmal einen richtigen Aufschwung. Doch letztlich war wohl die Einrichtung des Dorfgemeinschaftshauses unterhalb der alten Schürdt Schule der Untergang des alten „Lindenfestes“.
Auch das erste „Dorfgemeinschaftshaus“ hatte keine lange Lebensdauer. Am Rande der Kreuzung Gartenstraße Mittelstraße befand sich das alte Gefrierhaus. Da es im Zeitalter der zunehmenden Technik nicht mehr benötigt wurde, jeder Haushalt hatte inzwischen seinen eigenen Kühlschrank, stand es lehr. Die Gemeinschaft Schürdt kam auf den Gedanken es zu nutzen und zum dörflichen Treffpunkt zu machen. Es wurde entrümpelt und neu hergerichtet. Doch Meinungsverschiedenheiten führten zum Aus des kleinen und gemütlichen Hauses und die Stunde des „Grillhäuschen“ war gekommen.
Die alte Linde indes musste mit recht großem finanziellem Aufwand immer wieder gepflegt werden. Ein Blitzschlag und begonnene Innenfäule bereiteten noch mehr Sorgen. Alle zwei Jahre musste sie von Fachleuten überprüft werden. 2020-21 wurde sie noch einmal gründlich saniert. Doch bei der jüngsten Überprüfung zu Beginn des Jahres 2022 wurde festgestellt, dass die Standsicherheit nicht mehr gewährleistet ist. So erfolgte mit Genehmigung der Naturschutzbehörde die Fällung der guten alten Linde. Es nichts mehr zu retten. Wie sich nach der Fällung herausstellte, war das so.
Die Fällung war für Montag, 16. Mai anberaumt. Das nahm die Dorfgemeinschaft zum Anlass, ihre „Dorflinde“ mit einer letzten Feier unter dem grünen Laubdach der 180jährigen Baumdame, zu verabschieden. Die Alten kamen, die in den 70ger Jahren noch Kinder waren, kamen, viele mit ihren Kindern, die „Zugereisten“ der Neuzeit waren zugegen. Alte Geschichten und Erlebnisse wurden von den „alten“ Frauen vorgetragen, selbst Personen, die inzwischen nicht mehr in Schürdt wohnen, ließen sich den Abend nicht entgehen. Es tat mir in der Seele weh, aber meine Gesundheit ließ es nicht zu mich an diesem Abend zu den „Trauernden“ zu gesellen und die Linde würdig zu verabschieden. In der nächsten Zeit werde ich alte Berichte und Fotos aus meinem Archiv zusammensuchen und im Nachgang der Öffentlichkeit vorstellen. Wolfgang Wachow – Fotos: Renate Wachow – Wolfgang Wachow Junior – DG Schürdt – Privat