Zwei junge Rehböcke – zwei Schicksale

ORFGEN/BERG – GIESENHAUSEN – Zwei Rehböcke, zwei Schicksale – Lachen und Weinen –

Zeitlich liegen die beiden Ereignisse einige Zeit auseinander, ihren Ursprung nahmen sie wohl in fast der gleichen Zeit. Ariane I. ging mit ihrem Labradorrüden Paul wie fast jeden Tag in der Gemarkung Orfgen spazieren. Ausnahmsweise waren ihre beiden Jungen an diesem Tag nicht dabei. Zwischen den Ortsteilen Berg und Hahn bietet es sich an, den Hund frei laufen zu lassen. Da Paul absolut keinen Jagdtrieb hat, auch kein großes Risiko für die Tierwelt. Paul trottete einige Meter neben Frauchen daher und genoss den Freilauf. Vögelchen zwitscherten und Insekten brummten in der Luft. Vorsichtshalber behält die junge Frau aber immer Wege, Wald und Flur im Auge. Da die lieben Mitmenschen unberechenbarer sind als das eigene Hundchen nimmt sie Ihn bei Auftauchen von Personen an die Leine. Zehn Meter vor ihnen geht ein Vogel in die Luft und Paul sieht ihm gelangweilt hinterher. Wenige Meter weiter rennen erst eine Katze und dann ein Kaninchen über den Wirtschaftsweg. Paul bleibt stehen und sieht auch ihnen teilnahmslos hinterher. Einige hundert Meter weiter bemerkt Ariane I. zwei dunkle Flecken im Gras. Sie bleibt stehen und beobachtet die Stelle genau. Die Punkte bewegen sich. Als ein Wildtier, vermutlich ein Reh. Paul wird angesprochen und an die Leine genommen. Paul wird am Wegesrand an einem Baum angebunden und Ariane geht auf die Punkte im hohen Gras zu. Wenn es ein Reh ist wird es jeden Moment aufspringen und die Flucht ergreifen, doch nichts geschieht. Als sie nur noch einige Meter entfernt ist erkennt sie das Tier, es ist ein Reh. Doch das bleibt so wie es liegt in seiner Position liegen. Langsam nähert sie sich dem Reh, redet leise und beruhigend auf es ein. Das Reh sieht Ariane entgegen und duckt sich jetzt tief ins Gras. Die Gedanken überschlagen sich bei der jungen Frau. Das Tier ist mindestens schon zwei Monate alt, müsste also die Flucht ergreifen. Macht es aber nicht, bleibt unbeweglich liegen. Die großen braunen Rehaugen schauen Ariane verzweifelt oder hilfesuchend an. Als sie sich zum Rehchen herunterbückt sieht sie dass es an den Hinterläufen und auch im vorderen Bereich schwer verletzt ist. Sie möchte dem Tier helfen, aber wie. Sie weiß dass der Förster oder Jagdaufseher nicht lange fackeln wird und der Schuss das Leben des Tieres beendet. Über das Handy wird der Jagdaufseher gerufen, der auch kurze Zeit später erscheint. Das Schicksal des kleinen Böckchens ist besiegelt. Vermutlich, so der Jäger, ist der Rehbock mit einem Auto zusammengestoßen und hat sich schwer verletzt bis hier her geschleppt. Neben den sichtbaren äußeren Verletzungen hat er vermutlich noch innere. Das Tier ist nicht zu retten, es muß „beseitigt“ werden ist die gefühllose Antwort. Tränen stehen Ariane in den Augen als sie aufsteht, ein letztes Mal das Böcklein streichelt, sich umdreht und den Ort verlässt. Ständig muß sie die nächsten zwei Tage an das Tierchen denken.

Als sie ihrem Vater die Geschichte erzählt sieht der sie lächelnd an. Er weiß was in ihr vorgeht und hat gerade an diesem Tag eine Nachricht bekommen, die seiner Tochter über das Erlebte hinweghelfen wird. In einer Email wird mitgeteilt dass eine junge Frau in der Verbandsgemeinde Hachenburg einen kleinen Rehbock aufzieht. Der Zufall will, dass diese Frau, Silvia P., eine Schulfreundin von Ariane ist. Ein kurzer Anruf und der Termin steht. Am Nachmittag geht es zur Freundin. Als die beiden Frauen, Ariane und ihre Mutter, bei Silvia ankommen werden sie herzlich begrüßt und gleich zum Gehege des Rehbocks geführt. Wieder stehen Ariane Tränen in den Augen und das Sprechen fällt ihr schwer. Zu frisch ist das Erlebte vor drei Tagen. Doch nach einigen Minuten überwiegt die Freude über diesen kleinen munteren Kerl. Seine Geschichte treibt einem auch die Tränen in die Augen, schnürt den Hals zu. Der kleine Bock hat ein tragisches, aber auch glückliches Schicksal hinter sich. Der Jagdpächter Mario S. wurde zu einem schwer verletzten Reh, das andere Personen gefunden hatten, gerufen. Das Reh war vermutlich in ein Auto gelaufen und dabei schwer verletzt worden und schon geraume Zeit tot.  Mario S. bemerkte dass das Reh ein stark ausgebildetes Gesäuge hatte, also vermutlich Jungtiere bereits hatte. Wenn die Ricke Junge hatte, musste man sie schnell finden damit sie eine Überlebenschance haben. Das Umfeld der Fundstelle des Rehs wurde gründlich und mit Erfolg abgesucht. Es fand sich ein etwa zehn Tage junges, noch lebendes Rehkitz. Merklich schon abgemagert. Einen Tag später und es währe auch tot. Zwei Tage später fand man in der Nähe ein zweites Rehkitz, tot. Für Mario S. war jetzt die Frage, was machen. Wie und wo das Rehkitz schnellstmöglich unterbringen und pflegen. Ihm fiel ein dass eine Schulfreundin, die im gleichen Ort wohnt, zu ihm mal gesagt hatte: „Wenn er mal ein Rehkitz habe das aufgezogen werden muß, sie das machen wolle“. Am zweiten Juni war es soweit. Es klingelte an der Tür und dort stand Mario S. mit einer handvoll Rehkitz. Da gab es keine Diskussionen, Silvia nahm sich des kleinen Rehkitzes an. Die nächsten Wochen erinnerten sie an die Zeit nach der Geburt ihrer Kinder. Die Nächte wurden zur Tortour, alle zwei Stunden musste das Kitz gefüttert werden. Die Nuckelflasche nahm es nicht an, doch eine Spritze war ihm genehm. Kälbermilch schmeckte besonders gut. Im Stall wurde ein möglichst naturnahes Lager mit Ästen, Zweigen und Laub hergerichtet. Die Sache wurde zwar schlafraubend aber das Kitz rappelte sich auf und deutlich war der Erfolg zu sehen. Nach drei Wochen durfte der Zögling auch nach draußen. Dort hatte es eine natürlich Umgebung und konnte tollen, dösen, äsen, machen was es wollte. Auch der Kontakt zu den Menschen und Tieren im Haus wurde langsam Alltag. Inzwischen sind die Kleeblümchen zu seiner Lieblingsspeise geworden. Die Nachbarschaft stellte ein Stück angrenzende Wiese zur Verfügung und nun kann der kleine Kerl, es entwickelte sich als Böckchen, herumtollen. Jetzt wo er etwas größer ist hat er einen Unterstand bekommen und kann auch über Nacht mal draußen bleiben. Silvia und ihre Tochter Mathea haben gemeinsam die Pflegschaft des Rehbocks übernommen. Wenn das Böckchen stark genug ist soll er ausgewildert werden. Damit er nicht einem Schuss zum Opfer fällt soll er gekennzeichnet werden. An diese Zeit wollen die beiden Frauen jetzt noch nicht denken. Der Abschied wird richtig schwer fallen. Ariane I. fand auch schnell Kontakt zum munteren Rehbock und sah die Welt nun wieder etwas mehr in Ordnung. Ihr Rehbock musste sterben, dafür erfreut sich der andere des Lebens. (wwa) Fotos: Ariwa/Rewa

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