„Erinnern und weiterblicken“

HAMM/SIEG – Im Rahmen des „Raiffeisen-Jahres 2018“ luden die Evangelische Kirchengemeinde Hamm/Sieg und die Evangelische Akademie im Rheinland zu einem Festtag am Geburtsort von Friedrich Wilhelm Raiffeisen nach Hamm/Sieg ein. „Erinnern und weiterblicken“ war das besondere Raiffeisen – Gedenken in der Sieggemeinde überschrieben.

Gestartet wurde der Festtag in der reich gefüllten evangelischen Kirche in Hamm mit einem Festgottesdienst, der an den vor 200 Jahren in Hamm geborenen Genossenschaftsgründer Friedrich Wilhelm Raiffeisen erinnerte, der in dieser Kirche getauft und konfirmiert wurde. Die Predigt im Gottesdienst hielt der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, mitwirkend zudem Gemeindepfarrer Prof. Dr. Dr. Michael Klein – ein ausgewiesener Raiffeisenkenner-, musikalisch der Posaunenchor Altenkirchen-Hamm unter Leitung von Kantor Achim Runge (Orgel) und Manfred Geldsetzer als „Raiffeisen“.

„Wir verehren hier keinen Heiligen, sondern gedenken eines Mannes, der uns inspiriert und begeistert“. Pfarrer Prof. Dr. Klein Michael Klein ging im Gottesdienst in drei „Betrachtungen“ auf den „Mensch Raiffeisen“ ein. „Aus dem ‚Senfkorn des Glaubens‘ eines Mannes entstand etwas Großes. Aus Vision wurde Wirklichkeit“, unterstrich er im Blick auf einen „Bankier der Barmherzigkeit“. Klein, der über den „Christen Raiffeisen“ promoviert hatte, hob hervor, dass Raiffeisen ‚unverkrampft‘ in die Welt der Banken und des Geldes gegangen sei: „Er ließ auch sein Geld für sich arbeiten. Segensreich!“

Im Gottesdienst kam – dargestellt von Manfred Geldsetzer – „Raiffeisen“ auch persönlich daher. Er freute sich, dass man so einen großen Festgottesdienst anlässlich des 200. Geburtstages feierte. Doch dem „Wirbel“ um seine Person stellte er voran: „Das, was ich tat, war Christenpflicht“. Jesu Wort „Was Ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt Ihr mir getan…“ sei zu seinem Leitsatz geworden.

Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der vor 200 Jahren geborene Mitbegründer der Genossenschaftsidee, sei ein „christlicher Überzeugungstäter“ gewesen, unterstrich Präses Manfred Rekowski in seiner Predigt zur vorab zitierten Bibelstelle MT.25, 31-40. „Raiffeisen hat seine Aufrufe zum genossenschaftlichen Einsatz von Finanzen für das Gemeinwohl – das heißt: das eigene Geld für andere arbeiten zu lassen – vom christlichen Glauben her begründet, vom Anspruch Jesu her, der gesagt hat: ,Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan‘“, sagte der rheinische Präses.

Für den Christenmenschen Raiffeisen sei dieser Vers aus dem Matthäus-Evangelium nicht nur ein altes Bibelwort gewesen, „sondern es wurde im Laufe seines Lebens immer wieder gelebte Praxis. Denn er erlebte den Hunger von Menschen hautnah und wurde aktiv. Dabei verteilte er kein Brot, sondern baute ein Backhaus. Statt einmaliger Hilfeleistung leistete er Hilfe zur Selbsthilfe. Ihm ging es nicht nur um Mildtätigkeit, sondern – so würden wir heute modern sagen – um Teilhabegerechtigkeit. Kleinkredite für Bauern waren dabei eine besonders wirksame Hilfe“, so Manfred Rekowski. Friedrich Wilhelm Raiffeisen entwickelte die Ideen für die Gründung der Hilfsvereine und der Kreditkassen, den Gedanken der Solidarhaftung aller Genossenschaftsmitglieder sowie die Ablehnung von Dividenden für die Geldgeber.

Von der historischen Idee Raiffeisens herkommend, weitete Präses Rekowski in seiner Predigt zum Auftakt des sonntäglichen Festprogramms den Horizont: „Es geht – so wird heute manchmal engagierten Christenmenschen vorgehalten – nicht um Gesinnungsethik, sondern um Verantwortungsethik. Richtig. Aber diese Verantwortungsethik ist mehr als das jeweilige nationale Eigeninteresse. Es geht um mehr. Es geht auch um globale Verantwortungsethik. Die Schere zwischen Arm und Reich soll deshalb nicht weiter auseinandergehen. Ausgleich soll herrschen. Es darf nicht ein dauerndes Gefälle von Hilfsbedürftigen und Vermögenden geben.“

Das gelte auch für Gottes große und ziemlich bunte Menschheitsfamilie. Der fehlende Ausgleich, die himmelschreiende Ungleichheit zwischen Ländern und Kontinenten, die im Überfluss leben, und denen, denen das Nötigste zum Leben fehlt, sei in unseren Tagen eine der gewichtigsten Ursachen für die großen Fluchtbewegungen, machte der oberste Repräsentant der rheinischen Kirche und Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der EKD deutlich. „Da gilt es doch für uns: Nicht den Vorsprung sichern, sondern Ausgleich anstreben. Der Spaltung der Welt in Besitzende und Arme entgegenwirken; das Auseinanderdriften der Schere zwischen Arm und Reich nicht als schicksalhaft hinnehmen; dass alle leben können, darauf muss unsere Anstrengung gerichtet sein; nicht unsere Position als wichtige Wirtschaftsmacht nutzen, um unseren Einfluss und unsere Gewinnchancen abzusichern, sondern um anderen mit auf die Beine zu helfen. Ausgleich, nicht Sicherung des Vorsprungs, muss das Programm heißen!“

Zeitgleich mit dem Evangelischen Festtag im Raiffeisenjahr fand im regionalen Westerwald eine mehrtägige Wanderung mit Manuel Andrack unter dem Motto „Bei Raiffeisen zu Hause“ statt. Die Wanderung mit dem Startpunkt Neuwied führte über verschiedene Stationen (genossenschaftlichen Wirkens und Erinnerns) des Westerwaldes und endete in Hamm. Nach dem Gottesdienst sprach der Journalist und überzeugte Wanderfreund mit Präses Manfred Rekowski und Raiffeisen-Biograph Gemeindepfarrer Prof. Dr. Dr. Michael Klein über den „Christenmenschen Raiffeisen“. Ohne dessen christlichen Hintergrund sei das Lebenswerk von Raiffeisen nicht zu verstehen.

„Raiffeisen war ein christlicher Überzeugungstäter! Er hörte nicht nur auf Gottes Wort, er lebte es“, hob Präses Rekowski hervor: „Glaube muss Konsequenzen haben! Raiffeisen lebte auch das!“

Die Frage Andracks, ob Raiffeisens Wirken typisch “protestantisch“ gewesen und damit konfessionell angebunden sei, vermeinten beide. „Raiffeisen dachte nicht konfessionell! Er sorgte sich um die Unterstützung aller!“  Dr. Klein erläuterte, dass Raiffeisen in den Notzeiten auch stets alle Pfarrer der Region – gleich ob evangelisch oder katholisch – angefragt und eingebunden habe. „Es gelang ihm ausgezeichnet!“

Raiffeisens christliche Wurzeln sieht Klein sowohl durch dessen fromme Mutter wie auch durch dessen Patenonkel – Gemeindepfarrer in Hamm – gelegt.

Nach Gottesdienst und Erfrischungspause (traditionell wurde Kartoffelbrot -„Tuffelsbrot mit Kräutchen“ – gereicht)   sprach Dr. Ingrid Schmale im wohlgefüllten Dietrich-Bonhoeffer-Haus zum Thema „Organisiert Euch in Genossenschaften!“ über die Zukunft des Genossenschaftswesens. Dr. Schmale arbeitet beim Kölner Seminar für Genossenschaftswesen und war nach dem krankheitsbedingten Ausfall des ursprünglich eingeplanten Referenten Professor Hans-H. Münkner (Marburg) eingesprungen. Vor vielen Zuhörenden aus Kirchenkreis, Gemeinde und Gesellschaft wies sie auf künftige Perspektiven des genossenschaftlichen Wirkens hin. Jpi/EKiR und PES

Foto: Nach dem evangelischen Festgottesdienst in Raiffeisens Tauf- und Konfirmationskirche in Hamm/Sieg diskutierten (v.l.) der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, der Hammer Gemeindepfarrer Prof. Dr. Dr. Michael Klein und Journalist und Wanderfreund Manuel Andrack über den „Christenmenschen Raiffeisen“. Foto: Petra Stroh

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